„Backen ist Liebe“ – dieser geläufige Spruch galt lange Zeit in der Rabegasse 16 bis 18 in der ehemaligen Bäckerei Carlé, die älteren Grünbergerinnen und Grünbergern sicher noch ein Begriff sein dürfte.
Den Namen erhielt die Bäckerei von Daniel Carlé. Daniel Carlé, der am 28. November 1866 in Ebsdorf geboren wurde, und seine Verlobte Margaretha Walbrecht, geboren am 6. November 1873 als Tochter eines Bäckermeisters in Fronhausen/Lahn, erwarben vor fast genau 125 Jahren am 25. August 1900 das besagte Anwesen in Grünberg und übernahmen die dort bereits befindliche Bäckerei der Familie Jöckel.
Daniel Carlé hatte zuvor von 1882 bis 1885 das Bäckerhandwerk als Lehrling in Gießen erlernt und war anschließend als Geselle in Fronhausen und Gießen tätig. Die bestandene Meisterprüfung im Jahr 1900 ermöglichte ihm schließlich die Übernahme der Grünberger Bäckerei und die Anmeldung seines Gewerbes am 9. Oktober 1900, wie dem im Stadtarchiv erhaltenen Gewerbetagebuch der Stadt Grünberg zu entnehmen ist.
Nach der Heirat von Daniel und Margaretha Carlé am 20. September 1900 wurde am 5. September 1901 Sohn Hans geboren.
Hans Carlé trat in die Fußstapfen seines Vaters und erlernte ebenfalls das Bäckerhandwerk – zunächst von 1916 bis 1919 als Lehrling im elterlichen Betrieb, dann ergänzt um einen Lehrgang an der Handelsschule Hermes in Gießen. Am 4. Mai 1919 bestand er die Gesellenprüfung. Von 1919 bis 1926 arbeitete Hans zunächst als Bäckergeselle in der Bäckerei seiner Eltern weiter, bevor er anschließend in einer Konditorei in Gießen bis zur erfolgreich abgelegten Meisterprüfung am 20. Mai 1926 tätig war. Ein Lehrgang an der internationalen Konditoren-Schule in Stuttgart im Sommer 1926 rundete Hans` Fachwissen in Bezug auf das Bäckerhandwerk ab.
Am 2. Februar 1927 ereilte die Familie Carlé ein Schicksalsschlag. Sechzigjährig verstarb Hans` Vater, Daniel Carlé, infolge einer Blutvergiftung. Seine Witwe Margaretha wurde somit Alleininhaberin der Bäckerei und ihr Sohn Hans Carlé übernahm mit 25 Jahren die Leitung des Betriebes. Sechs Jahre später, im Jahr 1933, wurde Hans Carlé schließlich alleiniger Bäckereiinhaber, nachdem Schwester Anna Carlé für ihre Mitarbeit als junges Mädchen im elterlichen Betrieb eine finanzielle Abfindung erhalten hatte. Mutter Margaretha starb am 27. Januar 1938.
Hans Carlé hatte bereits am 24. Mai 1930 die Tochter des Grünberger Volksschullehrers Karl Wenzel, Lydia, geheiratet. Mit ihr hatte er drei Kinder: Margaretha Marie Carlé, geboren 1931, Hans Kurt Daniel Carlé, geboren 1934, und Gertrud Carlé, geboren 1938.
Als Familienvater modernisierte Hans Carlé die Bäckerei 1938 durch Bau eines zweistöckigen Backhauses mit Dampfrohrheizung, eingebauten Mehlsilos, Metallschränken zum Ausreifen der Teige und einem Badezimmer. Zur Auslieferung von Brot und Gebäck an einen geographisch erweiterten Kundenkreis schaffte er ein motorisiertes Dreirad an. Mehr als 60 Jahre lang versorgte die Familie Carlé somit die Grünberger Einwohnerschaft täglich mit frischem Brot, Brötchen, Gebäck und Kuchen.
Zum 31. Dezember 1962 gab Hans Carlé mit Erreichen des Rentenalters die „Brot- und Feinbäckerei“ auf, die ab 1. Januar 1963 zeitweise noch als Bäckerei Schmidt durch Bäckermeister Wilhelm Schmidt fortgeführt wurde.
Historische Dokumente aus der ehemaligen Bäckerei Carlé unweit des Rathauses sind nun durch den Enkel des Namensgebers, Hans Kurt Daniel Carlé, der mittlerweile in Brüssel lebt, dem Grünberger Stadtarchiv übergeben worden. Die Dokumente, die vornehmlich die Geschäfts- und Rechnungsbücher des Betriebes umfassen, werfen ein Schlaglicht auf die Geschichte eines traditionellen Handwerks in Grünberg und können von allen Interessierten im Stadtarchiv eingesehen werden.
Dipl.-Archivarin Marei Söhngen-Haffer M.A., September 2025